Sie besitzen Gipskrippenfiguren und möchten etwas darüber erfahren, wie alt die Stücke sind oder wer sie hergestellt hat? Sie sind privater oder gewerblicher Händler von Krippenfiguren aus Gips und möchten Ihren Kunden seriöse Informationen, fernab der üblichen, völlig aus der Luft gegriffenen Angaben, zu den Stücken an die Hand geben? Gerne erstelle ich eine profunde und ausführliche Expertise zu Ihren Figuren. Auch zu diesem Zwecke reicht in der Regel möglichst detailliertes Bildmaterial per email, nur in den allerseltensten Fällen wird es nötig sein, dass ich die Stücke en natur begutachten muss. Die für die Expertise unter Umständen anfallenden Kosten trägt selbstverständlich der Besitzer der Stücke.

 

In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Tatsache hinweisen, die mich regelmäßig erstaunen lässt. Es handelt sich dabei um die Verbreitung von, wie ich es nenne, "Volkstümlichem Unwissen" über Gipskrippenfiguren in Internetauktionen. 

 

Altersangaben

 

Grundsätzlich können Sie davon ausgehen, dass Datierungen wie "um 1880", "um 1900" oder "um 1920" völlig aus der Luft gegriffen sind. Leute, die so etwas behaupten haben keinerlei Ahnung von der Materie, wissen nichts über technische Möglichkeiten, Fortschritte und Entwicklungen in der Gipsfigurenindustrie und haben noch nie eine Figur des vorgebenen Alters gesehen. Denn sonst wüssten Sie, dass Figuren um 1880 ganz anders aussahen als das was wir heute in der Regel vorfinden. Ganz verwegene Zeitgenossen datieren sogar noch früher. Dazu sei angemerkt: die Produktion und Verbreitung von religiösen Gipsfiguren in nennenswertem Umfang begann zwar im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die Blütezeit der Gipsfigurenindustrie fällt jedoch in die relativ kurze Zeitspanne vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis Ende der 1930er Jahre. Wie für etliche andere Branchen auch, stellte der 2. Weltkrieg eine tiefschneidende Zäsur für die Gipsfabrikanten dar. Dennoch lebte die Branche nach dem Krieg wieder auf, so dass bis in die 1960er Jahre hinein Gipsfiguren produziert wurden. Seit in den 1950er Jahren der Kunststoff ins Spiel gekommen war, ersetzte er mehr und mehr den Werkstoff Gips. In den 1960er Jahren verschwanden die Gipsfiguren allmählich aus den Sortimenten des Handels und damit auch aus dem Bewusstsein der Konsumenten. Was den zeitlichen Faktor betrifft, darf man auch die Sortimentsgestaltung nicht außer Acht lassen: kleinfigurige Krippensätze für den Hausgebrauch kamen erst später in Mode, während zu Beginn ausschließlich großformatige Stücke für Kirchen, Pensionate, Schulen, Ämter und ähnliche Einrichtungen im Fokus standen.

 

Zwischen 1880 und heute liegen 2 Weltkriege und andere zerstörerische Ereignisse, Gips war auch im Alltag alles andere als haltbar, Tatsachen, die völlig ausgeblendet werden. Nicht umsonst stammen geschätzt 90 % der heute noch vorhandenen Gipskrippenfiguren von Firmen, die bis kurz vor dem bzw. nach dem 2. Weltkrieg noch produzierten, während Produkte von Branchenriesen, die teilweise noch im 19. Jahrhundert gegründet worden waren aber nach dem Kriege nicht wieder auflebten, so gut wie nicht zu haben sind. Krippenfiguren waren billig zu erwerben und somit leicht zu ersetzen, was die Verbraucher rege für Neu- und Ersatzanschaffungen nutzten. Eine Tatsache, die wesentlich zum wenige Jahrzehnte langen Blühen der Gipsindustrie beitrug- die geringe Haltbarkeit ihrer Produkte war somit eine der Ursachen für den ständigen Bedarf an Nachschub, der in ungeheueren Stückzahlen ausgeworfen und beinahe um die ganze Welt verschickt wurde.

 

Da aber die Verfasser dieser Auktionsbeschreibungen mit dem Hinweis ihre Angaben nach "bestem Wissen und Gewissen" gemacht zu haben, diese als legitimiert ansehen und die Möglichkeit korrigierend einzugreifen so gut wie nicht gegeben ist, wird dort gelogen was die Tastatur hergibt, nur um die Ware alt und somit besonders wertvoll erscheinen zulassen. Dass viele Anbieter die falschen Angaben vorsätzlich machen, ergibt sich daraus, dass wenn man ihnen die wahren (aber weniger spektakulären) Angaben zukommen lässt, sie diese konsequent ignorieren und lieber bei ihren Unwahrheiten bleiben. In Internetauktionen gibt es nach dem Motto höher, schneller, älter ausschließlich urälteste Fundstücke, was einem schon grundsätzlich zu denken geben sollte. Der Glaube daran, dass das Geschriebene am Ende sowieso niemand mehr überprüfen kann, weil solche Figuren nicht mehr hergestellt werden, wähnt diese Art Autoren in Sicherheit.

 

Darum biete ich Ihnen an, mein Angebot zu nutzen, sich bei mir über den Wahrheitsgehalt von Beschreibungen in Internetauktionen zu erkundigen- auch wenn Sie schon gekauft haben.

 

Es ist mir grundsätzlich egal ob Leute ihre Sachen im Internet auf ehrliche Weise an den Mann bringen oder nicht. Schlimm ist aber, dass die Käufer, die vorgefundenen Angaben ja weitertragen und so eben "Volkstümliches Unwissen" verbreitet wird, das jeglicher Grundlage entbehrt. Außerdem ist der Käufer spätestens dann angeschmiert, wenn er bei etwaiiger Wiederveräußerung an kundigere Interessenten gerät und sich dann u. U. der Wert empfindlich nach unten korrigiert.

 

Markenzeichen

 

Lustig wird es wenn man liest, dass die Figuren "signiert", monogrammiert" oder "mit Initialen des Künstlers versehen" sind. Gipsfiguren sind allesamt  seriell in Massen hergestellte Industrieprodukte gewesen- da war weit und breit kein Künstler am Werk, wenn der künstlerische Anschein zugegebener Maßen häufig auch groß ist. Die "Signaturen" und "Monogramme" sind schlicht Marken- nichts anderes als der Stern auf einem Automobil oder die Stanze auf einer Küchenreibe, das Enblem einer Tankstellenkette etc. Die Marken waren auch nicht die Figuren "geritzt", wie immer wieder behauptet wird. Die Marken waren als Erhebung auf den Modellen angelegt, so dass sie beim Gießen automatisch als "Punze" auf der fertigen Figur erschienen.

 

Oft wird versucht mit netten Geschichtchen eine ultralange Lebensspanne der Figuren zu suggerieren. Das kann man gar nicht alles im Detail zerflücken, aber grundsätzlich sind diese  angeblich überlieferten Histörchen furchtbar allgemein gehalten, klingen auf den ersten Blick sehr plausibel und sind immer gleich. Da werden als Fundorte Keller, Speicher, Kapellen und Kirchen oder 100 Jahre alte Häuser bemüht. Mein Haus ist auch 100 Jahre alt, was aber noch lange nicht für alles gilt was sich darin finden lässt. Auch kennen oft 90 Jahre alte Damen, uralt gewordene aber inzwischen verstorbene Tanten oder der eigene Vater diese Figuren aus der Kindheit- peinlich wenn diese dann von einer Nachkriegsmarke stammen... eindeutiger geht es nicht!

 

Manchmal wird sich zur Herleitung des mutmaßlichen Alters auf Stilepochen der bildenenden Kunst bezogen. Dazu sei angemerkt, dass etliche dieser Figuren im Nazarener Stil zuhause sind. Das bedeutet aber nicht, dass diese Stücke aus der Zeit dieser Stilrichtung stammen. Man muss sich vor Augen halten, dass es sich bei Gipsfiguren um beliebig oft reproduzierbare Erzeugnisse handelt. Eine Datierung über die Auswertung stilistischer Elemente wie Faltenwurf usw. wird in der Regel daran scheitern, dass das begutachtete Stück im Prinzip am Tag davor nagelneu die Fabrik verlassen haben könnte... Generell waren die Gipsfigurenproduzenten am Puls der Zeit orientiert, um ihre Sortimente frisch und kaufanreizend zu gestalten, zumal der Konkerrenzdruck durch eine Unzahl von Mitbewerbern sehr hoch war. Neben Klassikern, die über viele Jahre beliebt bei der Käuferschaft waren, gab so immer modisch beeinflusste Stücke. So löste etwa das Aufkommen der rechtlich geschützten Hummelfiguren eine naive Welle aus, die Krippensätze, wie die legendäre "Kinderkrippe" von Schmidt & Heckner nach sich zogen. Selbstverständlich handelte es sich dabei nie um 1:1- Kopien des Vorbildes, sondern um eine eigene Interpretation, die aber offensichtlich die wesentlichen Züge der Originalvorbilder trugen. Auch die Puppen der Käthe Kruse wirkten inspirierend, Gemälde etlicher Maler, die Werkstücke von Bildhauern usw. Als eigene Sparte im Gesamtangebot kann angesehen werden, dass Kunstwerke letztlich doch auch in 1:1- Kopie in kleinerem Maßstab für jedermann erschwinglich hergestellt wurden. Dazu zählen Büsten bekannter Persönlichkeiten, Werke von Michelangelo (so die Pieta) und Vieles mehr.

 

Fundorte

 

Interessanterweise findet man öfter auch Verweise auf den Herkunftsort der in Onlineauktionen angebotenen Figuren. Auffallend daran ist, dass man sich dabei ausschließlich auf Orte, Landstriche und Regionen bezieht, die in "besonders religiösem Ruf" stehen. Da liest man von Speyer (immerhin: ein Dom), dem Erzgebirge (Kunstgewerbliche Holzartikel), dem süddeutschen Raum (das Schnitzereldorado schlechthin), dem Erzgebirge und allen anderen Landstrichen in denen Otto Normalverbraucher ein solcher Fund plausibel erscheint. Der Sache schon näher kommt, wer sich auf Kevelaer bezieht, wobei das aber nicht zwangsläufig stimmen muss. Bedeutende Betriebsstätten der Gipsbranche befanden sich in Düsseldorf, Köln, Mönchengladbach, Geldern, München, in Thüringen, ja sogar in  den Niederlanden und Frankreich. So kommt es also darauf an, dass die Ortsangabe auch zum tatsächlichen Ursprungsort, nämlich dem Standort der Marke, passt.

 

Duplikate

 

Ein heikles und wenig bekanntes Thema im Gesamtzusammenhang, ist die Tatsache, dass auch heute noch Gipsfiguren produziert werden, wodurch mitunter Repliken als antike Stücke angeboten werden. Solche Figuren sind auf Fotos eigentlich im ersten Moment entlarvt, weil sie mittels der heute üblichen Silikonformen hergestellt werden. Die Entstehung aus einer Silikonform aber ist an jeder der Figuren leicht erkenn- und nachvollziehbar. Außerdem ist die Polychromie recht augenfällig, was aber natürlich nicht jedem (ungeschulten) Betrachter auch gleich ins Auge fällt bzw. fallen kann.

 

Markenkunde

 

Am Ende ist natürlich die Marke auf den Figuren der Schlüssel zu vielen Hintergrundinformationen, wie mutmaßliches Alter und Werdegang der Firma. Die gemachten Angaben lassen sich folgerichtig fast immer schon allein anhand der Marke widerlegen, weil sie einfach nicht mit dem Backround der Marke deckungsgleich sind. Etliche Marken sind überliefert und es gibt brauchbare Biografien dazu. Seltener kommt es vor, dass Marken nicht überliefert sind oder man sie nur noch mutmaßlich dem Inhaber zuordnen kann. Aber wie auch immer der kontrete Fall liegt, die Thematik ist ungeheuer spannend und in der Regel ebenso aufschlussreich. Da ich die Fülle von Anfragen dazu, nicht immer zeitnah abarbeiten konnte, gibt es im Lexikon des Krippenkabinettes inzwischen etliche Artikel zu den wichtigsten Marken. Anhand dieser Ausführungen haben Sie die Möglichkeit unmittelbar Informationen zur Herkunft Ihrer Figuren zu finden. Sollten Fragen zur Marke Ihrer Stücke offen geblieben oder die gesuchte Marke im Lexikon nicht erläutert sein, wenden Sie sich bitte an mich.

 

Ein Fazit

 

Wie immer im Leben hat alles zwei Seiten: einerseits sind Internetauktionen eine gute, da leicht zugängliche, zudem bequeme Quelle, um an Gipsfiguren heranzukommen. Andererseits hat man es dort mit unterschiedlich motivierten Personen als Anbietern zu tun, die so gut wie nie sachkundig sind. Sachkundigkeit ist für den reinen Verkaufsvorgang ja auch unerforderlich. Wer Bilder der Ware einstellt und offensichtliche, allgemeine Angaben zu Anzahl und Größe der Figuren, Material, Hinweise auf eventuelle Schäden oder die vorhandene Marke macht, ist rein sachlich orientiert und nicht zu kritisieren. Grenzwertig wird es aber da, wo man trotz nicht vorhandener Sachkunde Angaben macht, die letztendlich aus der Luft gegriffen, wage Vermutungen und wilde Spekulationen, eben abenteuerliche Märchen sind. Anders als bei allen möglichen Produkten der heutigen Zeit, sind spekulative Angaben im Bezug auf Gipsfiguren für den Leser aber kaum als solche zuzuordnen. Ein Beispiel: Würde in einem Angebot über ein Auto Baujahr 1998 behauptet, dass Goethe schon damit gefahren ist, wüsste jeder, der das liest, dass es nicht den Tatsachen entsprechen kann. So bleiben dem potentiellen Käufer zwei Möglichkeiten: er verwirft das Angebot, weil es ihm nicht seriös erscheint oder er geht darauf ein, weil er einsortieren kann, dass zwar die gemachte Behauptung nicht stimmt, das Auto in seinen anderen und tatsächlichen Eigenschaften aber dennoch für ihn interessant ist. Und genau diese Möglichkeit der Abwägung besteht für den potentiellen Käufer der Gipsfiguren nicht, weil es sich dabei um Dinge handelt, die in unserem Alltag keine Rolle mehr spielen und deshalb auch kein allgemein verbreitetes Wissen dazu existiert. 

 

Sichere Indizien für Nachkriegsprodukte:

  • neben der Marke der Schriftzug "Germany" oder Stempel mit "made in Germany", "Brit. Zone", "US Zone" usw. unter der Figur
  • die Marken HvM (häufig falsch als HM angegeben), HKK, HAD, PG(K)
  • quietschbunte Farben

Sichere Indizien für Vorkriegsprodukte:

  • die Marken GDK, DKH, HJD, DvO, HBG, JFK, KR u.a.

Falsche Angaben, die nicht auszumerzen sind:

  • "Gebrüder van Dyck" oder "Gebrüder Dyck" als Deutung der Marke GDK- Leute dieses Namens waren in Kevelaer nicht in der Gipsfigurenbranche tätig
  • "Egidius Göbel" als Deutung der Marke EGD ist ebenso falsch, weil die Marke für E M I L Göbel steht
  • "Anton Rappel" als Deutung der Marke A.R., was man neuerdings häufiger liest. Eine Person solchen Namens hat es in der gesamten Gipsfigurenindustrie nie gegeben. Die Marke ist mit "Aloys Riffahrt" (Mönchengladbach) zu übersetzen.

Ausführlich habe ich mich diesem Thema auch in meinen Publikationen in der Zeitschrift des Verbandes Bayrischer Krippenfreunde, "Der Bayrische Krippenfreund" Ausgabe 360 und 361 gewidmet.

Guido H. Espers Krippenkabinett | Weihnachtskrippen | Krippenfiguren | Gipsfiguren